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In der dreistündigen Performance trifft Tierfleisch auf Körper, Songs auf Geschichten, Filmgelatine auf Haut.

 

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„Da verwandelte die Taxidermie-Künstlerin Elena Tiis das Schaufenster des ehemaligen Ladens für die gesamte Performance-Dauer in ihr temporäres naturwissenschaftliches Kabinett, das als Werkbank zum Ausstopfen zweier toter Vögel diente und durch die gläserne Zurschaustellung von Tiis’ nüchtern-analytischer Profession leise an die filmischen Visionen einer psychopathischen wissenschaftlichen Praxis erinnerte, die im Zweifel auch die Grenzen der Ethik ad acta zu legen bereit ist. Da entdeckte man die alten Holzvitrinen als Bühne der Tänzerin Anna Knapp wieder, die, eingepfercht wie ein bereits bei seiner Geburt als Lebensmittel zu Tode definiertes Tier, ihre Performance an der abgründigen Labilität eines stets latenten – inneren wie äußeren – Ausbruchs entlang führte und mit dem Bild einer von Zwängen zerrissenen Frau von einer abwegigen und stillen Konsequenz erzählte: die sexuelle Komponente des Parfums stellt in seiner Essenz einen Missbrauch des Weiblichen dar. Nicht verwunderlich, dass die bewusst unangenehme körperliche Präsenz von Anna Knapps pathologisierten Bewegungsabläufen – etwa des ständigen Auf- und Abrollens ihrer Strümpfe – wie ein beschämendes Zerrbild jener als Tourismusobjekt gebrandmarkten Schaufenster-Prostituierten im Amsterdamer Rotlichtviertel wirkte.
Der Verlust oder die Entstellung des Animalischen – im mumifizierten Tier, im industrialisierten Tier und nicht zuletzt in einer marktorientierten Sexualität – stellte dementsprechend einen roten Faden dieses Abends dar. Umbrandet von den irgendwo zwischen Daughter und Grimes aus taubehangenen Wäldern schleichenden Songs des Melancholectro-Duos Lionoir, die als Reverse-Loops immer wieder den werkzeugbasierten Soundexperimenten Stefan Voglsingers als Ausgangspunkt dienten, und begleitet von Irmi Wyskovskys bruchstückhaften Lesungsfragmenten und Stefanie Zingls Amateurfilmprojektionen, entstand daraus eine faszinierende Atmosphäre der Suche nach der ursprünglichen Beschaffenheit dessen, was durch die Entfremdung des Menschen von sich selbst zum Dämonischen verkommen ist. Dazwischen, wie purer Sarkasmus, immer wieder ein Relikt aus dem amerikansichen Vaudeville, dem Zirkus, oder dem Jahrmarkt: ein in rotem Showmaster-Frack gewandeter mobiler Barkeeper, das Tablett stets gefüllt mit weichem und hartem Alkohol, gleich einem Dompteur des Publikums, der zugleich die Performance durch seine Eingriffe rhythmisierte. Auch er ein Phantom, schon oft genug in der jüngeren Kulturgeschichte als verschrobener Rattenfänger der US-Vorstadt verteufelt, seiner Ansagen und Peitschen beraubt, rein auf die Betäubung reduziert. Der Kreis zum Giftmischer schließt sich. Ein wunderbar zwischen Spuk, Erlösung und Befreiung schwebender Abend.“
Sebastian Müller, „Der Setzkasten – ein symbiotischer Ort“, Kollektiv Denkfabrikat

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